Katarina Gaub Schauspielerin
Katarina Gaub Schauspielerin
Sicherheit
In einer Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat, wünschte ich mir, der junge Mann im Märchen "Der Teufel mit den drei goldenen Haaren" zu sein. Er wurde mit einer Glückshaut geboren und ist somit vor jeder Gefahr gefeit. Auch wäre ich bereit in nordischem Drachenblut zu baden, um wie Siegfried, unumwunden Unverwundbarkeit zu erlangen. Natürlich würde ich akribisch darauf achten, dass keinerlei entzaubernde Lindenblätter meinen genialen Plan unterminierten. Und ich spränge in den legendären Styx, mit Haut und Haar und Ferse um eine rundumgeschütze Achillin zu werden. Ausgestattet mit dieser 24/7 Immunität rettete ich die Welt mit Pauken und Triangeln, würde ihr die friedliche Emanzipation, den veganen Weltfrieden und das bedingungslose Grundeinkommen sichern und dann mit meinen 72 adoptierten Enkeln friedlich und weise den Lebensabend im Schwarzwald verbringen. So weit so gut.
Wir schreiben jedoch das Jahr 2020 und ich stakse seit ich denken kann, als dünnbisgarnichthäutiges Sterntaler durch die Weltgeschichte. Als Sterntaler, das seinen Zwiebellook wenig vorausschauend bereits an alle Minderbemittelten verteilt hat und nun zähneklappernd den Ausgang zum letzten großen Akt mit dem schönen Happy End nicht findet.
Zur Klarstellung: Ich bin nicht auf die Goldtaler scharf. Ich möchte einfach nur, dass das Gras auf der Waldlichtung aufhört, so ohrenbetäubend zu wachsen. Oder, dass das Kind was Vernünftiges anzuziehen bekommt. Gebt ihm einen Skioverall, ein Kojotenfell, ein Hochzeitskleid. Gebt ihm etwas zwischen dem Drinnen und Draußen, eine Begrenzung, etwas, was es zusammenhält und ihm den Unterschied seines Individualbiotops und dem Kosmos da draußen unmissverständlich klar macht. Damit es aufhört sich ständig um Kopf und Kragen zu fühlen und es wieder weiß, wo es hin soll mit sich, auf dem Rest der Welt. Raus aus dem vorletzten Akt der Verwirrung, dem retardierenden Moment, dem stoisch grinsenden Wartesaal. Und wenn es schon nicht ein arischer Sagenheld sein darf, so gönnt ihm doch den Ritter Rost.
Sicher, es hat es auch seine Reize, so empfindsam zu sein. Man braucht nicht viel. Man braucht keine harten Schicksalsschläge, um sein Leben zu überdenken (das macht man bereits, wenn man nicht auf Anhieb in die Parklücke kommt), man braucht keine kostspieligen Drogen oder Ehedramen um mal richtig was zu erleben (dieses Geld kann man sich getrost für seine Therapeuten sparen) und man braucht keine Geigenmusik um zu bemerken, dass das jetzt das fulminante herzzerreißende Finale eines cineastischen Kassenschlagers ist.
Schauspielerin wurde ich, weil ich mich unsterblich in Winnetou verliebt hatte. Und weil mich meine Religionslehrerin lehrte, dass diese dubiose Profession "durchaus ein sinnvoller Beruf ist, da man damit anderen Menschen Freude schenkt". Die Managementetage war also auch einverstanden.
Die wesentliche Wahrheit ist jedoch, dass ich Schauspielerin wurde, um mir diese kostbaren Momente von süßer Sicherheit zu verschaffen. Momente in denen ich mich kurzfristig vom assoziativen Empfindungswahnsinn ausruhen kann und nicht darüber nachdenken muss wer und wozu ich eigentlich bin, beziehungsweise was als nächstes zu tun und zu sagen ist. Meine Rolle schenkt mir eine Begrenzung, ersetzt mir die fehlende Schicht. Sie ist mein Mondanzug, meine Tauchausrüstung, meine Schweizer Bahn. Ein sicheres Verkehrsmittel, das meine wunderlichen Empfindungen berechenbar ins Parkett oder auf eine durchgesessene Couchgarnitur transportiert.
Ich wurde Schauspielerin, weil ich diese Augenblicke bevor ich eine Bühne betrete oder der Regisseur "und bitte" sagt, so unsagbar heiß und innig liebe. Diese Sekunden in denen die mächtige Zeit ganz kurz die Luft anhält und für den Moment scheinbar alles an seinem Platz ist. Die Worte, Requisiten, Menschen, das ganze schwererziehbare Leben. Bereit und konzentriert sich in das tüvgeprüfte Uhrwerk einer berechenbaren Geschichte einzufügen, einer Handlung, die mich im hier und jetzt geborgen hält und von der ich gleichzeitig weiß, dass sie mich ganz sicher und gewiss endlich im letzten großen Akt ankommen lässt- auch wenn ich dort dann mit einem Reifen auf dem Bordstein stehe. Geigenmusik.